Meldungen aus dem Bezirksverband Weser-Ems
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Schülerinnen und Schüler machen bewegende Schicksale öffentlich

78 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zeigen Schülerinnen und Schüler des 9. Jahrgangs des Neuen Gymnasiums Wilhelmshaven die Lebenswege hinter Kriegsgräbern auf dem Aldenburger Friedhof.

Direkt am Gräberfeld werden auf dieser Informationstafel die Schicksale von Emil Blumensath und Italico Gori erzählt.

Mit der Enthüllung zweier Geschichts- und Erinnerungstafeln auf dem Friedhof Aldenburg sind Opfer des Nazi-Regimes in Wilhelmshaven aus der Anonymität und damit dem Vergessen geholt worden. Nach aktuellem Stand gibt es auf dem Friedhof 712 Gräber von Kriegstoten. Darunter sind unter anderem Gräber von Zivilistinnen und Zivilisten, die bei Bombenangriffen getötet worden sind, aber auch von sowjetischen Kriegsgefangenen, ehemaligen KZ-Häftlingen oder hingerichteten Wehrmachtsangehörigen.

Die beiden Geschichts- und Erinnerungstafeln sind das Ergebnis der Recherchearbeit von Schülerinnen und Schülern des 9. Jahrgangs des Neuen Gymnasiums. Sie haben sich in einem Projekt seit vergangenem Herbst mit den historischen Hintergründen und Lebenswegen hinter den Gräbern befasst. Unterstützung bekamen sie dabei vom Küstenmuseum, den Technischen Betrieben Wilhelmshaven und dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Bezirksverband Weser-Ems.

Der junge Marinesoldat Emil Blumensath etwa wurde kurz vor Kriegsende als vermeintlich Fahnenflüchtiger hingerichtet. Erst nach Kriegsende wurde die Familie über den Tod des 22-Jährigen informiert. Angehörige von Blumensath waren zur Enthüllung der Tafeln am Donnerstag eigens aus der Eifel an die Jade gereist.

Ergreifend auch das Schicksal des zur Zwangsarbeit letztlich nach Wilhelmshaven ins Lager Alter Banter Weg verschleppten Italieners Italico Gori. Völlig geschwächt starb er hier am 1. April 1945. Seine Tochter Maria, die er nie kennengelernt hat, machte sich später auf die Suche nach ihm. Es war ergreifend, als die NGW-Schülerin Sina Sauer jetzt einen Brief der Tochter vorgelesen hat. „Ich wusste 73 Jahre nicht, was aus meinem Vater wurde und habe erst 2017 erfahren, dass er in Wilhelmshaven beerdigt wurde. (...) Wir hatten so viel Feindseligkeit in unseren Herzen, aber haben uns auf den Weg gemacht, um der Spur meines Vaters zu folgen vom KZ Dachau über das KZ Neuengamme bis auf den Friedhof Aldenburg.“ Eigentlich wollte die Familie die sterblichen Überreste heimholen, aber sie haben hier auf dem Friedhof ihren Frieden gemacht. „Die Feindseligkeit war letztlich verschwunden. Nun geben Sie die Erinnerung an meinen Vater weiter – dafür bin ich Ihnen zutiefst dankbar!“ „Keiner von uns trägt die Verantwortung für das, was damals geschehen ist“, sagte Oberbürgermeister Carsten Feist, „aber die Lehren aus dieser Vergangenheit zu ziehen, gibt uns eine Verantwortung für die Zukunft.“ Die Wilhelmshavener sollten das Projekt des NGW doppelt und dreifach wertschätzen, denn gerade die Friedhöfe wie der in Aldenburg seien auch kulturelle Orte. Der OB ist überzeugt: „Geschichtsunterricht bekommt eine ganz andere Tiefe, wenn man sich mit den Schicksalen der Menschen beschäftigt.“ Mit NGW-Schulleiter Stephan Fischer ist er sich sicher, dass die vernichtende, alles verachtende Maschinerie der Nationalsozialisten uns allen in Erinnerung bleiben muss. Gerade in einer Zeit, in der überall autoritäre Strukturen wieder wachsen und Autokratien in vielen Staaten der Welt die Macht übernehmen.

„Ihr habt euch mit traurigen, erschütternden und dramatischen Schicksalen auseinandergesetzt“, so Volksbund-Mitarbeiterin Johanna Knoop. Sie hatte das Projekt des 9. NGW-Jahrgangs begleitet und freut sich über die tolle Arbeit der Teilnehmer sowie über die Unterstützung. „Es ist für Schüler ganz sicher nicht üblich, sich mit den Geschichten der Menschen hinter den Grabsteinen zu beschäftigen.“

Von Michael Halama aus der Wilhelmshavener Zeitung vom 23.06.2023, Seite 5.